2. Adventsso. 02 – Lj. B (Mk 1,1-8)

2. Adventssonntag – Lesejahr B (Mk 1,1-8) 08.12.02

Liebe Schwestern und Brüder,

 

das muss ein verdorbenes Volk gewesen sein, die Einwohner von Jerusalem damals.

Die müssen es notwendig gehabt haben!

Man muss sich das nur einmal vorstellen: Da kommt ein einziger Mann und predigt ihnen etwas vor von Schuld und Bekehrung, und plötzlich rennt alles los, um sich im Jordan taufen zu lassen, plötzlich strömt alles und bekennt seine Schuld!

Die müssen einiges auf dem Kerbholz gehabt haben, wenn die Menschen so in Scharen zur Bußtaufe kamen.

Ein verdorbenes Volk muss das gewesen sein!

 

Das wäre heute mit Sicherheit anders. Nehmen Sie nur mal an, der Johannes würde heute predigen. Und jetzt nicht etwa am Jordan, nein, sagen wir ganz einfach drüben am Ölbach.

Ich denke, wir könnten die Leute, die ‚rüber gingen, um sich taufen zu lassen, ich denke, wir könnten sie an einer Hand abzählen!

Johannes hätte heute – und da bin ich mir sicher – er hätte heute kaum den gleichen Erfolg wie damals.

Denn allem Anschein nach haben die Menschen heute so etwas nicht mehr nötig.

Scheinbar hat sich das Problem mit der Schuld längst erledigt.

 

Wenn Sie sich heute durchfragen – und da ist es egal, ob sie jetzt junge oder ältere Menschen nehmen – wenn Sie heute irgend jemanden fragen: Haben Sie denn noch so etwas wie persönliche Schuld?

Ich nehme an, das Ergebnis wird recht einheitlich ausfallen.

Wer von uns hat denn heute noch Schuld?

Wer wäre denn ein schlechter Mensch?

Ich denke, Sie kennen das: Ich habe keinen umgebracht, und irgendwo eingebrochen bin ich auch nicht!

Ich wüsste gar nicht, was ich an Schuld haben soll!

Wenn man Umfragen trauen darf, dann hat sich das Problem mit der Schuld anscheinend längst erledigt.

An den Jordan zu ziehen und dort seine Sünden zu bekennen, scheinbar hat das von uns heute niemand mehr nötig.

Scheinbar haben wir das nicht mehr nötig!

Denn wenn ich genauer hinschaue: zumindest bei mir stelle ich da anderes fest.

Wenn ich mich ehrlich frage: Wie sieht es denn tatsächlich bei mir aus?

Wie bin ich denn, zum Beispiel dem anderen gegenüber?

Gehe ich denn wirklich auf ihn zu, oder warte ich nicht viel zu oft, dass der auf mich zukommt?

Wie viel Zeit schenke ich dem anderen wirklich?

Wie vielen begegne ich ablehnend, misstrauisch, kühl und berechnend?

Wie viele habe ich – ohne es vielleicht zu wissen – verletzt?

Wie viele Menschen gibt es, denen ich nicht verzeihe, wie viele, gegen die ich Vorurteile habe?

Wie oft habe ich über andere geredet, was bei anderen schief gelaufen ist weitergetratscht?

Und bin ich überhaupt dankbar dafür, dass ich hier bin und leben darf?

Wann habe ich Gott zum letzten Mal „Danke“ dafür gesagt?

Wie oft bin ich nur zu ihm gekommen, wenn ich etwas von ihm wollte?

Wie selten hab‘ ich ihm eigentlich gedankt?

Oder überhaupt erst an ihn gedacht?

Wie viele Stunden habe ich ihn gar vergessen?

Nein, nicht dass Sie jetzt meinen: ich möchte hier niemandem etwas vorhalten.

Ich frage mich nur selber!

Und ich stelle fest: je länger ich mich frage, desto länger wird die Liste, die ich am Ölbach aufsagen könnte!

Und vielleicht fragen Sie sich auch wieder einmal.

Wenn Sie Zeit haben, dann fragen Sie sich ruhig auch wieder einmal.

 

Das heißt: Nein, warten Sie nicht erst bis Sie Zeit haben.

Nehmen Sie sich die Zeit!

Sie tun es für sich.

Wie viele psychosoziale Beratungsstellen müssen noch gegründet werden, wie viele psychische Krankheiten müssen noch entstehen, bis wir endlich begreifen, dass man Schuld nicht vergraben kann; bis wir endlich einsehen, dass man sie unter keinen Umständen dadurch los wird, dass man sie einfach nicht wahrhaben will.

 

Das Volk von Jerusalem hat es noch gewusst.

Ein kluges Volk!

Es ist an den Jordan gezogen.

Und diese Menschen sind dazu gestanden, dass sie Schuld auf sich geladen haben.

Sie haben sie nicht verdrängt!

Nein, sie haben sie bekannt.

Denn sie wussten: so konnten sie Vergebung finden.

Kluges Volk von Jerusalem…


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