14.11.09 „Fliegen kann jeder!“

Wort zum Sonntag 14.11.09 „Fliegen kann jeder!“

Vielen meiner Bekannten geht das Novemberwetter auf den Geist. Regen, diesige Luft, es wird immer früher Dunkel und draußen blüht kaum noch was. Vielleicht ist deshalb der November der Monat, mit den vielen Gedenktagen an Tod und Verstorbene. Spätestens wenn man mal schwer krank war, ist der Gedanke an den Tod oft wiederkehrender Begleiter im wieder gewonnenen Leben.

Zur Lebenskunst gehört, das wussten schon die Alten, auch die Kunst des guten Sterbens. Ich weiß von vielen älteren Menschen, die, nicht nur im Alter, täglich um eine gute Sterbestunde gebetet haben. Die gute Sterbestunde, die Kunst des Sterbens ist der Prüfstein dafür, wie tragfähig die Kunst des guten Lebens ist.
Wie eng leben und sterben können zusammenhängen, ist mir an einem vor einiger Zeit gelesenem Interview klar geworden. Darin schildert ein berühmter Trapezkünstler die gefährliche Arbeit der Artisten hoch oben in der Zirkuskuppel. Die Kunst, scheinbar schwerelos durch die Luft zu fliegen und sicher auf der anderen Seite zu landen.
„Als Luftspringer muss ich absolutes Vertrauen haben auf den, der mich auffängt“, sagt er. „Das Publikum meint immer, ich sei der Star am Trapez. Ich, der Flieger. Aber der wirkliche Star ist mein Fänger. Er muss für mich im Bruchseil einer Sekunde da sein und mich aus der Luft angeln, wenn ich in hohem Bogen auf ihn zufliege.“
„Klappt das denn immer?“, fragt der Interviewer. – „Die Kunst liegt darin“, sagt der Artist, „dass der Flieger nichts tut und der Fänger alles. Wenn ich auf meinen Partner zufliege, muss ich bloß meine Arme und Hände ausstrecken und darauf warten, dass der andere mich auffängt.“
„Und Sie tun dabei nichts?“ – „Nein, gar nichts“, sagt der Artist. „Das Schlimmste, was ich tun könnte, wäre, nach dem Fänger greifen zu wollen. Ich würde seine oder meine Handgelenke brechen, und das wäre für uns beide das Aus. Nein, ein Flieger soll nichts als fliegen, ein Fänger nichts als auffangen. Ich muss mit ausgestreckten Armen völlig darauf vertrauen, dass der Andere im richtigen Moment nach mir greift.“
„Das ist das ganze Geheimnis?“ – „Ja, dass der Flieger, der in die Leere hineinspringt, nichts tut. Und der andere, der Fänger, alles.“
Eine starke Vorstellung, finde ich. Eine, die mir klar macht, worin letztendlich die Kunst zu leben wie zu sterben besteht: in diesem Vertrauen, nicht abzustürzen, sondern aufgefangen zu werden. Ob man das lernen kann, solches Vertrauen?
Bevor Jesus stirbt, sagte er einen Satz, der voll gesogen ist von diesem Vertrauen:
„Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ In seiner Todesstunde sagt er ihn, in äußerster Verlassenheit.
Diesen Satz kann ich nachsprechen. Die Kraft, die darin steckt, kann ich mir zu Eigen machen. Und so lernen zu vertrauen, dass Gottes Hände auch mich halten, selbst wenn ich falle, es geht nie tiefer als immer in Gottes Hände. Diese Überzeugung tut mir unendlich gut. Ihnen und Ihren Familien wünsche ich einen besinnlichen Sonntag.

Ihr Arthur Springfeld (Diakon)

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